Dienstag, 16. Februar 2016

Lydie Salvayre "Weine nicht"

Montse ist 14 Jahre alt, als sie 1936 mit ihrem Bruder José aus einem kleinen Dorf in die Stadt nach Barcelona geht, beseelt vom Gedanken und der Idee des Anarchismus, deren Anhänger in Spanien gegen Franco und seine Armee kämpfen, die von der katholischen Kirche unterstützt werden. Nach einiger Zeit kehrt Montse jedoch zurück in ihr Dorf – unehelich schwanger und desillusioniert fügt sie sich in das Leben, das ihre Eltern für sie vorgesehen haben. Montses Geschichte stellt die Autorin Lydie Salvayre George Bernanos gegenüber, ein Autor und glühender Katholik, der auf Mallorca die furchtbaren Säuberungsaktionen des Regimes miterlebt und seine eigene Kirche nicht mehr wieder erkennt, die all den Mördern für ihre grausamen Taten die Absolution erteilt ohne mit der Wimper zu zucken.
„Weine nicht“ von Lydie Salvayre ist ein sehr starkes, poetisches und emotionales Buch. Josés uneingeschränkte Begeisterung für die Revolution trifft auf die Desillusionierung von Montse, die sich einfach in ein Leben fügt, das für sie vorgesehen zu sein scheint. Daran zerbricht letztendlich das Verhältnis der Geschwister. Erzählt wird die Geschichte rückwirkend von Montse, die als alte Frau am Fenster sitzt und ihre Lebensgeschichte ihrer Tochter erzählt. Sie scheint das alles loswerden zu müssen, bevor sie stirbt, als würde es ihr auf der Seele brennen, von diesem Sommer 1936 zu erzählen, der schönsten Zeit ihres Lebens, wie sie sagt. Die Aufregungen der großen Stadt, die Euphorie des Sieges hatten sie in einen Taumel fallen lassen, aus dem plötzlich aufwachen musste, als feststellte, dass sie schwanger war und nicht einmal den Nachnamen des Kindesvaters kannte, der längst wieder auf Seiten der Anarchisten im Bürgerkrieg kämpfte. Ob sie diesen Schwindel rückwirkend nur verklärt und die negativen Seiten ausblendet oder ob sie damals wirklich so glücklich war – dieses Urteil muss der Leser für sich selber fällen.
Die negativen Seiten beschreibt sehr berührend die Position von Bernanos, er spricht von Männern, die nachts aus dem Bett gezerrt und erschossen werden, von ganzen Transporten von Menschen in den Tod, alles unter dem Deckmantel der katholischen Kirche. Die ganze Episode ist ein Armutszeugnis für diese Kirche, die sich nur an einer alten Macht und ihren weltlichen Einfluss klammert, wie Bernanos enttäuscht feststellt. Die Kälte und Brutalität seiner Sichtweise bildet einen verstörenden Kontrast zu Montes zauberhaften Erinnerungen an den Sommer ihrer Träume.
Lydie Salvayre hat ein bewegendes Buch geschaffen und gleichzeitig ihrer Mutter in der Figur der Montse ein Denkmal gesetzt. Es lohnt sich auf jeden Fall, dieses Buch zu lesen und sich danach vielleicht noch ein wenig mehr mit diesem Krieg zu beschäftigen, in den auch Deutschland damals keine ruhmreiche Rolle gespielt hat.  

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